Das NetzDG war und ist der Versuch, Social-Media-Plattformen mit spezifischen Vorgaben zum gründlicheren und schnelleren Löschen von “Hass und Hetze” zu verpflichten. Die Sorge des Overblocking hat sich in der ersten Version offenbar nicht bestätigt; in der zweiten Version droht aber durch die Weitergabepflicht an Ermittlungsbehörden eine Meldeflut, womöglich sogar Melde-Exzesse, weil die Plattformen auf Nummer sicher gehen möchten.

Dass die Plattformen selber stärker tätig werden müssen, sendet unterschiedliche Signale. Auf der einen Seite gilt das NetzDG als Beispiel dafür, wie sich Social-Media-Unternehmen in die Pflicht nehmen lassen. Auf der anderen Seite wurde es in Ländern wie Singapur, Russland und der Türkei als Vorbild genannt, um weit einschneidendere Gesetze zu verabschieden – beziehungsweise “Hass und Hetze” (und Desinformation) nach den Vorstellungen der Regierung auszulegen. Um zum Beispiel dieses Wochenende Nawalny-Hashtags zu verbieten (Proteste als “illegale Massenveranstaltungen”) Oder wie in der Türkei nun endlich den langgehegten Wunsch nach einer weltweiten Blockade von Content durchzusetzen (durch Löschverpflichtung).

Auch hier ist also Kontext relevant: Bei den Hausregeln haben die Plattformen Spielraum, bei der Auslegung von “Hass und Hetze” autoritär geneigte Regierungen – sie können “Hetze” oder “illegales Verhalten” nun relativ einfach auf Kritik oder nicht genehme Situationen anwenden. Und auch die im NetzDG verankerte Pflicht zur Benennung eines nationalen Ansprechpartners ist auf den ersten Blick sinnvoll; auf der anderen Seite ermöglicht sie Ländern, dies in ihrem Sinne auszulegen: bei Nicht-Benennung zum Beispiel Apps zu sperren oder ihre Geschwindigkeit zu drosseln (siehe Türkei). Oder die Zustellungsmöglichkeit zu nutzen, um Nichtbefolgung von Zensur mit heftigen Strafzahlungen oder Mitarbeiter-Verhaftungen zu sanktionieren. 

Unter dem Strich gilt: Social-Media-Gesetze existieren nicht im luftleeren Raum, und dass Deutschland seine internationale Feigenblatt-Rolle überhaupt nicht auf dem Schirm hat, ist absolut bedauerlich.