Digitalgipfel sind angenehme Veranstaltungen, zumindest für die Teilnehmer: Die Minister- und Staatssekretärsriege kann große Pläne verkünden – oder zumindest Besserung geloben. Ihr gegenüber sitzen Experten und Expertinnen aus Wissenschaft, Praxis und Firmen, die auf ein gutes Verhältnis zur Bundesregierung wert legen. Die Kritik fällt entsprechend dezent aus.
So war es auch diese Woche und die Beobachtung ist auch in meinen Deutschlandfunk-Kommentar eingeflossen. Ich will aber nochmal ausführlicher als in 2:45 Minuten skizzieren, warum die digitale Transformation Deutschland lange so problembehaftet und zaghaft angegangen wurde.
Politik und Wirtschaft sind dabei nur schwer zu trennen. Die Behaglichkeit, mit der sich die Deutschland AG im linearen Status Quo bequem gemacht hatte, spiegelte sich natürlich auch in den Merkel-Regierungen. Tatsächlich verfolgte die Kanzlerin nie eine gesellschaftliche Idee und bearbeitete in der Regel Symptome statt Ursachen. Und dieses “Fahren auf Sicht” verbindet sie mit fast allen Dax-Vorständen der vergangenen 15 Jahre.
Das waren keine guten Voraussetzungen für die digitale Transformation, sondern führte eher zu Versuchen, Branchen und Geschäftsmodelle vor neuer Konkurrenz zu schützen. Dazu kommen beim Breitband- und Mobilfunk-Ausbau häufig Entscheidungen nach Konzernwünschen, am offensichtlichsten bei der Vectoring-Erlaubnis für den Telekom-Breitbandausbau.
Ich denke auch manchmal zurück an die Rüttgers-Kampagne “Kinder statt Inder” aus dem Jahr 2000: eine Haltung, die damals sehr verbreitet war. Das rot-grüne Zuwanderungsgesetz 2004 war hier im Kern ein Gesetz zur bürokratischen Überwältigung einwanderungswilliger Fachkräfte. Ein echtes Fachkräfteeinwanderungsgesetz gibt es erst seit 2019. Allerdings stellt sich auch die Frage, wie konkurrenzfähig Deutschland für IT-Fachkräfte gewesen wäre: Dem Unterbau aus universitärer Ausbildung und Grundlagenforschung stand ein Mangel an Firmen-Ökosystemen entgegen. Ganz behoben ist das nicht: Auch jetzt entscheidet sich die Bundesregierung bei ihren Fördermaßnahmen nicht selten für Gießkanne und parteipolitisch gefärbter Standortpolitik statt für gezielte Förderung von Schwerpunkten und Schwerpunktgebieten. Im Bereich Risikofinanzierung wird sich erst mit den Reformen ab 2021 zeigen, ob man eine Liga nach oben klettern kann.
IT-Wildwuchs, Skepsis und zarter Optimismus
Letztlich wird es schwierig, das Versäumte aufzuholen, auf allen Gebieten. Der bestehende Digitalisierungs-Fachkräftemangel zieht sich durch Firmen, aber auch durch viele Ministerien (sieht man oft Gesetzes-Handwerk), Behörden und Institutionen (Schulen können nicht einmal Admins finden). IT-Wildwuchs, also de facto technische Schulden, fesselt staatliche (ich sage nur “IT-Konsolidierung Bund”) wie privatwirtschaftliche Einrichtungen (erfolgreiche Ransomware-Angriffe sind das plakativste Symbol für architektonische IT-Versäumnisse).
Beim mittelständischen Zögern, sich in Richtung datenbasierter Geschäftsmodelle zu entwickeln, kommt dieser Mangel ebenso zur Geltung wie die Grundskepsis gegenüber neuartigen Technologien – das gilt auch für die Leute, die Digitalisierungsstrategie im “Front Office” umsetzen müss(t)en. Angesichts dessen, dass derzeit im “KI”-Bereich ein Überangebot an Schlangenöl-Verkäufern herrscht, kann ich einen Teil der Skepsis sogar nachvollziehen. Währenddessen freut sich T-Systems über lukrative Beratungsaufträge, weil man ja als Firma irgendwas machen muss.
Wenn ich nach diesem Problemaufriss mit einem Funken Optimismus schließe, dann beruht dieser vor allem auf einer Erkenntnis: So schlecht wie der Großteil der vergangenen 15 Jahre ist die Digitalpolitik der Gegenwart nicht mehr, womöglich wird sie in absehbarer Zeit sogar gut. Zumindest werden die Debatten lösungsorientierter und inhaltlich besser.
Unterm Strich würden wir es uns auch zu einfach machen, die Verantwortung für die digitale Transformation nur der Politik zu geben. Deutschland hat in erfolgreichen Jahren an eine lineare Weiterentwicklung der Wirtschaft des 20. Jahrhunderts geglaubt, an ein ungefährdetes Dasein als Exportweltmeister. Dass es nicht so kommen wird, war beim Blick über den Tellerrand schon früh zu erkennen. Doch genau dieser Blick wird hierzulande meist wenig geschätzt.