Wenn wir über die Zukunft des Internets reden, ist die Idee des Splinternets zur gängigen Prognose geworden: Ein balkanisiertes Internet, in mehrere Einfluss- und Regelsphären zersplittert ist. Allerdings ist unklar, ob wir überhaupt von der Zukunft reden – oder das Splinternet nicht vielmehr die Gegenwart beschreibt.

Gegenwärtig kristallisieren sich vier Zonen oder “vier Internets” heraus: Das amerikanische Modell, das europäische Modell, das chinesische Modell und das indische Modell. Die ersten drei Sphären werden grob oft so beschrieben: Europa schützt Daten, China kontrolliert Daten und die USA vermarkten Daten

Dass Indien nun eine weitere Einflusszone bildet, ist nicht der Bevölkerungsgröße geschuldet. Vielmehr hat das indische Internet mit dem Mobilfunk- und Content-Konzern Jio einen Gatekeeper: Wer Kunden erreichen möchte, muss über Jio gehen. Aus diesem Grund haben Facebook und Google, in den USA Konkurrenten, beide viele Milliarden in Jio investiert.

Die vier Internets unterscheiden sich auch bei der Rolle des Staates, nämlich grob gesagt: Kontrollierend (China), federführend (EU), reagierend (derzeit noch Indien) und gewähren lassend (USA). Eine deutlich erkennbare Entwicklung in allen vier Regionen ist, dass der Staat sich stärker für die Technospähre interessiert, regulatorisch wie auch geopolitisch – ich erinnere an den “Kalten Tech-Krieg” zwischen den USA und China. 

Entsprechend rückt “das Internet” in den Fokus geopolitischer Machtkonstellationen. Ludwig Siegele hat in der letzten Economist-Ausgabe zum Beispiel einen geopolitischen Internet-Pakt zwischen den USA und Europa skizziert: De facto Sicherheitsgarantien, um den chinesischen Einfluss zurückzudrängen – zum Beispiel beim Datenschutz oder der internationalen Besteuerung amerikanischer Unternehmen, aber auch durch Konsortien in wichtigen Entwicklungsfeldern wie dem Halbleiterbereich. Denn China seinerseits schmiedet Allianzen, die Strategie der Besetzung wichtiger Positionen in internationalen Organisationen betrifft zum Beispiel auch die Internationale Fernmeldeunion.

Blockbildung ist nicht die einzige Variante eines “Grand Bargain”, also einer globalen Übereinkunft. Bereits im Frühjahr kam von zwei Akademikern der Vorschlag für ein “Digitales Bretton Woods” nach der Corona-Pandemie, analog der globalen Währungsordnung nach dem zweiten Weltkrieg. Die fünf Forderungen:

(1)   Eine universelle Erklärung über Künstliche Intelligenz (analog zur universellen Erklärung der Menschenrechte)

(2) Globale Koordinierung von Daten-Regulierungsrahmen 

(3) Ein neues globales System für Besteuerung 

(4) Standardisierte Messrahmen für die Digitalwirtschaft

(5) Neue Institutionen für politische und regulative Koordinierung der wirtschaftlichen Digitalisierung

Ich glaube, wir sind noch einige Schritte von einer Situation entfernt, in der solche politischen Digital-Großdeals überhaupt möglich wäre – aber nicht weit weg von einer engen Zusammenarbeit zwischen Indien und den USA.

Eigentlich bewegt sich jeden Tag etwas, was direkt oder indirekt mit der geopolitischen Digitalisierungskomponente zu tun hat. Beispiele aus dieser Woche: So verbot Indien 43 weitere chinesische Apps, inzwischen sind es bereits mehr als 200. Frankreich hat den US-Techkonzernen erstmals Bescheide für die neue Digitalsteuer geschickt (drei Prozent des Gewinns in Frankreich ab einem Jahresumsatz von 25 Millionen Euro). Russland will (US-)Plattformen blocken, die ihrerseits Inhalte von Staatsmedien blocken. Und Großbritannien hat neue Regeln sowie eine neue Kartellamts-Unterabteilung angekündigt, die die Marktmacht und Facebook und Google beschränken sollen.

Die Schnittstelle von Digitalisierung und Geopolitik wird also hier immer wieder Thema sein.

(Foto-Quelle, CC BY-ND 2.0)